Hier das sage und schreibe, weit und breit einzige (!) Weingut direkt an der weltberühmten Golden Gate Bridge - zumindest an deren Stuttgarter Ableger, dem sogenannten „Golden Gatele“, das den Wanderer trockenen Fußes vom Eulenbühl über den Neckar bis hin zum Max-Eyth-See führt! Jenseits solcher Sensation handelt es sich bei der Zaißerei um das kleine, bodenständige Weingut einer Familie, die seit Jahrhunderten Weinbau betreibt und stolz auf ihre Weingärten in den Steillagen des „Cannstatter Zuckerle“ verweist. Angebaut wird die Württemberger Palette, somit roter Schwerpunkt, daneben verirrten sich Merlot, Riesling, Gewürztraminer und helle Burgunder ins Programm.

Beginnen wir mit dem 2022 Samtrot. In dessen Duft konzentriert sich rote Grütze mit viel süßer Schwarzkirsche, weißem Kalk, etwas schwarzem Pfeffer, intensiv, dick, satt. Im Mund auf der süßfruchtigen, gefälligen Seite. Dicht verwobene kirschfruchtige Aromatik, sehr feine Säure, angenehm weiches und in Ansätzen trockenes Mundgefühl, bevor der Wein sich mit weichem, ordentlich langem und kirschfruchtigem Nachhall verabschiedet. Sehr robust gegenüber Röst- und Gemüsearomen, aber Samtrot, diese völlig zu Unrecht unterschätzte Württemberger Besonderheit, hat anderswo mehr drauf, sprich: weniger Restzucker drin. Mehr zum Thema hier und hier.

Zur bekanntesten aller Württemberger Cuvees fiel uns nie besonders viel ein, bis wir Adelmanns Interpretation kennenlernten. Die dient uns seither als Referenz, und auch diejenige der Zaißerei, der 2021 Trollinger mit Lemberger muß sich daran messen. Im Duft Apfelkuchen, selbstgebacken, noch warm, köstlich. Im Mund füllig, rote Johannisbeere und etwas Erdbeere, dunkelrote Campinos, überraschend langer und trockener Nachhall, saftig, süß. Im direkten Vergleich mit dem Samtrot säurestärker, strenger, herber, aber im Vergleich mit der Referenz (uns viel) zu süß und etwas facettenarm. Zielgruppengerecht ist er trotzdem. Hoher Restzucker und gewisse Unkompliziertheit erfüllen die Erwartungshaltung an solchen Wein umstandslos, und handwerkliches Können attestieren wir dem Winzer ohne Einschränkung. Wie der Samtrot von begleitenden Speisen kaum zu besiegen, und das vereinfacht die Wahl des Menüs natürlich extrem.

Apropos Speisen: mit ihren hohen Alkohol- und Glyceringehalten und dem heftigen Restzucker sind die Weine der Zaisserei echte Sattmacher, vulgo: Kalorienbomben - perfekt fürs sanfte Einschlafen und absolutes Tabu für Bediener irgendwelcher Maschinen wie zum Beispiel Autos oder Fahrräder.

Authentischer als mit dem 2020 Trollinger trocken „Cannstatter Zuckerle“ geht es nicht: ein Trollinger von den steilen Muschelkalk- und Tonterrassen oberhalb des Neckars, der alle Checkboxen abhakt: Johannisbeer- und kirschfruchtig, leichte Bitternote, süße, blanchierte Mandeln; am Gaumen weich, cremig, vollmundig mit langem Nachgang, lange haftend. Dieser hier ist zudem recht säurestark, wasserziehend, animierend, und er steht trotz allem eher auf der süßen Seite, wenn auch nicht so extrem wie der Trollinger mit Lemberger oder gar der Samtrot. Der Wein und die berühmte Lage, von der er stammt, lassen uns ins Bücherregal greifen:

„Festzustehen scheint, daß schon im elften Jahrhundert von Mönchen des Klosters Bebenhausen Weinbau getrieben wurde und dass sich hier hundert Jahre vorher ein Stutengarten befand, der möglicherweise von dem Herzog Liudolf I. von Schwaben, dem Sohn Otto des Großen angelegt war“. (Quelle: Ernst Marquardt Geschichte Württembergs, Tübingen 1961, S. 11). Weinbau mitten in dieser Gegend seit den Zeiten, als ein „Wirt am Berg“ dem jungen Herzogtum möglicherweise den Namen gab, auch wenn die Etymologie weitere Erklärungen parat hat.

Ferner gibt es einen Trollinger Rosé, den wir erst in der Terrassensaison öffnen werden, und einen im Holz ausgebauten Trollinger Reserve, der bei unseren Besuchen jedoch ab Hof ausverkauft war - gutes Zeichen.

2022 Lemberger trocken Im Duft Brombeere, Pflaume oder ist es schon Pflaumenmus, Holunder, Walnuß. Im Mund verglichen mit den oben kommentierten Kalorienbomben fast schon elegant, ruhig und unaufgeregt. Rote und schwarze Früchte, manches davon säuerlich, trockenes Mundgefühl und guter, herb-kirschiger Nachhall, auch er trocken wie lange gezogener Schwarztee. Keinerlei tertiäre Aromen, deswegen nicht allzu tief oder komplex; eine unserer Flaschen mit einer Ahnung vom UHU-Ton. Insgesamt unspektakulär, aber solide, äußerst robuste Qualität. Mit dem 2018 Lemberger trocken Reserve - im Verkauf und geöffnet im Februar 2023 - wird es dann exklusiver mit süßen dunklen Früchten, viel Marzipan, etwas Vanille, ausgleichendem Säuregerüst, kompaktem Körper, aber auch hier scheint uns die Reifung während der sicherlich langen Standzeit etwas aus dem Ruder gelaufen zu sein: sprich leichter UHU-Ton.

2021 Merlot Reserve - im Holzfass gereift. Das goldene tin roof läßt eine höherwertige Linie vermuten, über die in den spärlichen Medien der Zaißerei jedoch nichts zu erfahren ist. Auf unserer Flasche heißt es "Im Holzfass gereift", Zaiss' website spricht dagegen vom Barrique. Im Duft jedenfalls ein schwer zu entschlüsselndes Potpourri roter Früchte, roter Paprika, auch Holzkohle und einer süßen exotischen Note: Marzipan? Weihrauch? Im Mund dunkle Früchte: angenehm säuerlich, fast herb, wasserziehend, so trocken, wie es sein soll, und die sortentypische Molligkeit und Wärme fehlt etwas, ohne daß wir sie vermissten - auch das hebt ihn vom mainstream-Merlot ab. Trotz selbstbewußten Alkoholgehalts recht leicht zu genießen. Landet in unserer Hitliste Merlot garantiert nicht unten.

Zum Abschluß noch etwas Besonderes: Der 2022 Gewürztraminer Reserve ginge mit etwas mehr Opulenz problemlos als sehr guter Dessertwein durch. Aber auch ohne nimmt er mit süßem Duft von Lychee, Basilikum, Rosenblättern und etwas Muskat ein und verfällt nicht in Blumigkeit und Banalität etwa der Siegerrebe. Hinzu kommen überwältigende Süße im Mund, die einem Schokoladendessert problemlos standhält, und langer rosenduftiger, leicht bitterer Nachhall. Ein ambitionierter Wein.