Seit der Gründung 1881 entwickelte sich das Weingut Stigler zu einer der ersten Weißweinadressen Badens und vielleicht Deutschlands. Auf rund 13 ha stehen Burgunder, außerdem Silvaner, Traminer, Sauvignon blanc und Chenin blanc sowie immer wieder Überraschungen: 2024 kamen Petit Verdot und Cabernet Franc hinzu. Der Schwerpunkt des gemäß VDP-Vorgabe gegliederten Programms lag viele Jahre klar auf Riesling und verschiebt sich seit einiger Zeit - vielleicht der schleichenden Klimaänderung wegen - in Richtung Burgunder und hitzetoleranter Sorten. Grundcharakter der Weine ist ihre ausgesprochene Klarheit, Feinheit und Präzision: selbst die alkoholstärksten wirken keineswegs wuchtig, ihr graziler Stil macht sie leicht zugänglich, und er erstaunt angesichts des aromatischen Reichtums bei jedem Schluck aufs Neue. Die Weinliste beeindruckt mit fast 60 Positionen ohne Destillate und enthält auch lieferbare frühere Jahrgänge, insgesamt eine lange und angenehme Bettlektüre.

Weissweine

Chenin Blanc: wirklicher Exot im Kaiserstuhl, einst französischer Kontrapunkt zum Riesling, hierzulande kaum zu finden und heute eher in Südafrika (als "Steen") und Übersee en vogue. Stigler bietet die fäulnisempfindliche und schädlingsanfällige Sorte nur aus idealen Jahrgängen an, hin und wieder auch als Cuvee mit seinem Verwandten Sauvignon blanc. Im Vorfrühling 2015 öffneten wir eine Flasche der 2009 Chenin blanc Spätlese trocken - "aus Versuchsanbau", denn die seit Jahrhunderten kultivierte Sorte ist hierzulande ja nicht offiziell klassifiziert. Ähnlich wie Chardonnay läßt sich Chenin blanc stilistisch in vielerlei Richtungen dirigieren. Stigler baute ihn seinerzeit nach Riesling-Machart aus: klar, feinnervig, transparent, im Duft intensiv gelbfruchtig, geschälte Mandel, Kalk, im Mund ausdrucksvoll und frisch ohne ausgeprägte mineralische Akzente, dafür umso mehr apfelfruchtig, herbe Kräuter, weißer Pfeffer, ja genau: ein Wein mit Pfeffer, und zwar viel davon. Sortentypisch freche, aber gut verwobene Säure, die ihn auch im Sommer 2019 noch zu einem Erlebnis werden ließ (Nachtrag Herbst 2020: dito). Der frische 2016er war wiederum äußerst gelungen: bittersüßer Duft wie Heu, Kaffee, Blüten; im Mund rassig, kräftig, würzig. Zitrusbestimmt und schmeichelnd süß mit langem Nachhall. Kein Essensbegleiter, den man wählt, weil er nicht weiter stört, vielmehr einer, zu dem man Edelfisch, Krustentiere oder die Gemüse sorgfältig aussuchen muß, damit sie nicht vom Tisch gefegt werden. Aber es ist auch ein Wein, der - wenn das alles zu kompliziert wird - auch ganz unkompliziert alleine getrunken werden kann. Achtung: 14 Vol-%. Der sanfte und apfelfruchtige 2017er scheint uns im Frühjahr 2024 auf dem Höhepunkt und ist im Moment glücklicherweise noch ab Weingut zu haben. Der aktuelle 2022er mit seinem enormen Potential darf dagegen noch liegen.

Am 2014 Grauburgunder trocken F1 "Oberrotweil" beeindruckte uns im Frühjahr 2021 vor allem sein waldhonigschwangerer Duft, abgerundet von herbem, grünem Apfel. Im Mund dicht, beinahe voluminös, apfelfruchtig, und irgendwie werden wir den Eindruck von Ananas nicht los, die ja nicht immer süß ausfällt. Keinerlei Holzeinfluss schmeckbar. Gereift, aber mit präsenter Säure robust und frisch, raue, gleichzeitig sanfte Textur wie bei Kartoffelpüree. Bäumt sich im pampelmusenfruchtigen Abgang schön auf. Schließlich zeigt der 2018 Chardonnay trocken vom Ihringer Winklerberg beispielhaft, was der Weinjargon mit dem Begriff "straff" meint: feste und glasklare Struktur, Säure, die spürbar und gerade noch sanft am Gaumen zerrt, Präsenz, die sich durch keinen Essensbegleiter beirren läßt, und hier alles untermalt von feiner pfirsichgelber Frucht, die durchaus süß ausfällt. Hochklassige Kaiserstühler Chardonnay-Interpretation.

Eine Stufe darunter ist die Cuvee aus Weissburgunder und Chardonnay trocken angesiedelt; 2022er Jahrgang, die Sorten zu gleichen Teilen im Pfälzer Holz ausgebaut. Ein interessanter und sehr zurückhaltend bepreister Wein, der die Vorzüge der beiden Rebsorten glasklar zur Geltung bringt: fruchtig und aromatisch kraftvoll mit schönem Nachhall, „easy drinking“ mit Klasse.

Zu den Rieslingen: das waren vor einigen Jahren und zumindest in der GG-Klasse klare Alternativen zu den großen Namen von Rheingau oder Mosel. So schenkte uns der lebendige, honigduftige und aromatisch ungemein schillernde 2007 Ihringer Winklerberg Riesling F36 trocken GG bei der ersten Probe 2014 großes Vergnügen und verdient Anfang 2020 ebenso großen Respekt. Er verlor in den Jahren kaum etwas von seiner Kraft, zeigt Altersfirn, natürlich, aber der verleiht großen Rieslingen wie diesem nur eine weitere faszinierende Facette. Der 2010er schläfert mit seinem tiefen, exotischen Duft ein und weckt mit bittersüßen Kräutern und Zitrus wieder auf. Vollmundig und dank feinem, saftigem Säurespiel trotzdem schlank wirkend. Natürlich verliert er seit 2018 im Jahrestakt an Kraft, aber das ist nicht der Grund, weswegen wir erstklassigen Riesling nach wie vor lieber weiter nördlich suchen. Dieser Duft, wenn ein Sommerregen beginnt, Honig, ein Obstgarten oder die Blumenwiese in der Sonne, stahlige Mineralität bis hin zum Petrolton - alles was wir an Riesling schätzen, präsentiert sich bei diesen Tropfen hier doch sehr zurückhaltend. Mit dem Chenin blanc treffen Liebhaber der starken Musik unserer Meinung nach die bessere Wahl.

Traminer

Die rosenduftige 2007 Ihringer Winklerberg Traminer Spätlese trocken begleitet uns im Herbst 2020 seit dreizehn Jahren. 2008 erwarben wir die erste Kiste, waren vom jungen Wein schwer beeindruckt und schlugen ein Jahr später - gegen einigen Widerstand des Personals - nochmals zu. Aromatisch ist der Wein von süßer Birne, Ananas und getrockneten Kräutern bestimmt, sehr weich und schmeichelnd auf der Zunge, kräftig am Gaumen. Typisch auch die Entwicklung über die Jahre: eine im Sommer 2013 geöffnete Flasche war tot, weitere im Frühsommer 2014 und im Januar 2017 perfekt. Im Herbst 2020 war der Wein für Stiglersche Verhältnisse schwer geworden, intensiv, dramatisch, honigsüß, mineralisch salzig. Und zum Jahreswechsel 2022/2023 öffneten wir die letzte Flasche dieses inzwischen etwas müde gewordenen, aber immer noch großartigen Weines. Wir sind gespannt, ob der alkoholstarke, muskat- und birnenfruchtige 2015er ein würdiger Nachfolger sein wird.

Rotweine

Manchmal ist es ein Vabanquespiel. Nehmen wir den 2005 Ihringer Winklerberg QbA Spätburgunder trocken RS. In der Farbe an Trollinger erinnernd füllte der Wein den Mund beeindruckend, war körperreich ohne schwer zu wirken, und verschwand, ja verflüchtigte sich irgendwann. Bei der ersten Probe 2010 hinterließ der Wein Leere oder präziser: die Erwartung erheblich bissigerer Noten. Zwischendurch hatten wir ein Streichergebnis. Vier Jahre später präsentierte er sich als Schmuck der ganz großen Tafel, und dann tranken wir ihn vorsichtshalber aus. Einem 2012 Ihringer Winklerberg Spätburgunder trocken gaben wir im Spätsommer 2017 nicht mehr viel Zeit. Der stark mineralische, hochreife Spätburgunder hatte seine Frucht (Pflaumenmus) noch nicht verloren, die Aromatik bewegte sich aber stark in Richtung streng-bitter. Auf der Zunge weich, rundgeschliffene Tannine, guter Nachgang. Vielleicht hätte man eine Stufe höher wählen sollen, und zwar den 2011 Freiburger Schlossberg Spätburgunder GG. Der wirkte 2017 lebendiger, das Pflaumenmus wurde zum süßen Pflaumenkompott, er floß weich und voll über die Zunge, wurde im Abgang sehr kräftig, und die 14 Vol-% waren abermals meisterhaft versteckt.

Im Januar 2021 öffneten wir den 2014 Spätburgunder "Ihringen F5" als Begleiter zu Trüffelnudeln, und im Handumdrehen spielten die Nudeln die Begleitung zum Wein. Typisch Kaiserstühler Spitzenklasse, selbst aus mediokrem Jahrgang. Pflaumenduftig, kräuterwürzig, kraftvoll und seidenweich, legte sich süßfruchtig mit feinen Säurespitzen über den Gaumen. Staubtrockener, langer und voller Abgang. Trotz allem, was da auf Geist und Geschmacksknospen einstürmte, eher erfrischend als schwer.

Noch kräftiger präsentierte sich der 2010 Ihringer Winklerberg Spätburgunder GG "Backöfele". "Backöfele" ist der Name eines alten Gewannes, das mit dem Deutschen Weingesetz 1971 zwar verschwand, aber nicht vergessen wurde. Der schöne Name gab einen Eindruck davon, worin sich der Weingärtner zu befinden glaubt, wenn er des Sommers zwischen Rebzeilen und Trockenmauern schuftet. War sieben Jahre nach Abfüllung gereift, ohne unbedingt auf dem Höhepunkt zu sein, vollmundig, mächtig und trotzdem unbedingt zugänglich. Fast keine Tannine mehr. Vorherrschende Noten von Kaffee und nassem Leder verdrängten die Frucht beinahe, machten den Wein tief, robust und komplex. Er war im Geviert der Großen Gewächse vom Spätburgunder die Wahl, denn die Zeit des 2009 Ihringer Winklerberg Spätburgunder GG "Roter Boden" war 2017 um. Sehr trocken und immer noch pflaumenfruchtig ließ er seine einstige Wucht erahnen, aber schon drohte die unverkennbare Schärfe des Herbstlaubes. Ein ehrwürdiger Wein. Austrinken.

Will man in dieser Klasse unterwegs sein, greife man also zum aktuellen (im Frühjahr 2024 ist das der 2019er) Backöfele mit seiner extremen Spätburgunderaromatik oder auch zur „Pagode“ desselben Jahrgangs und derselben Linie; man meint den heißen Vulkanboden auf der Zunge zu spüren, dabei wirkt der dunkle Wein bodenlos tief, sanft, fruchtig, süß-schmelzig und doch angenehm leicht.

Süßweine

Paßt die bekannte Schwere solcher Weine überhaupt zur Stiglerschen Leichtigkeit des Seins? Drei Versuche, und wir erklettern mit den Trockenbeerenauslesen gleich die Spitze der Kunst. Schon die 2013 Oberrotweil F1 Ruländer TBA mit ihren für das genre ungewöhnlichen 12 Vol-% Alkohol zeigt die Machart der Stiglerschen TBAs: durchgegoren, alkoholstark, aromatisch außergewöhnlich komplex und weit jenseits der üblichen Rumrosine. Im Ansturm auf die Sinne extrem, stilistisch voll, aber auf der Zunge klar definiert, transparent mit spürbarer Säure. Selbiges gilt für die 2013 Traminer TBA VDP.ErsteLage mit ihrer feinen mineralischen Note, aromatisch überbordende Frucht, etwas weicher als die Ruländer TBA, fließt sanfter als Seide über die Zunge und besitzt Potential für viele Jahre der Lagerung. Aus dem 2024er Programm ist sie allerdings verschwunden. Das Extrem stellt die 1996 Müller-Thurgau TBA (2012er AP-Nr.) dar, eine Erinnerung an längst gerodete Bestände und, seltsam aber wahr: ein preis-werter Wein. Im Duft reine Bourbonvanille, die Bitterkeit von Walnußhaut, im Mund ein flüssiges Karamellbonbon, Kastanienhonig und die Welt kandierter Südfrüchte. Stilistisch extrem dicht, eine Glycerinbombe, ein Zuckerteppich nicht ohne Säurespitzen, ein Wein zum Kauen. In dieser Art selten erlebt. Besondere, köstliche Süßweine - sicherlich die besten des Kaiserstuhls.