A- und B-Noten

Jedermann kennt A- und B-Bewertungen in einigen Sportarten: Pflicht und Kür. Im vorliegenden Fall kombinieren wir A- und B-Note mit dem etwas moderneren Fünf-Sterne-System - wobei es keine bloße Kopie sein soll, sondern wir werden, sagen wir: Rosen vergeben, maximal fünf Rosen für die A-Note (Weine) und fünf Rosen für die B-Note (Service). Wir werden sehen, wieviele Rosen wir dem Weingut überreichen dürfen und wieviele wir wieder mitnehmen müssen. Willkommen also bei „Rosen und Wein“ in Bahlingen am Kaiserstuhl, wobei: der Willkommensgruß erstreckt sich hier auf mehrere Etappen, aber dazu später mehr.

Zum lange im Voraus und am Abend zuvor nochmals bestätigten Termin werden wir von Mutter, Sohn Nr. 1 und Sohn Nr. 2 (vorstellen tut sich hier niemand) in einiger Verzweiflung hin und her, dann für eine Stunde ins gegenüberliegende Stehcafe geschickt. Der erste sinnvolle Kontakt findet schließlich mit Hanspeter Weiß statt. Sein Vater baute seit jeher Müller-Thurgau für den Eigenbedarf an; erst 1989 wurde das eigentliche Weingut gegründet. Über die Jahre entstanden 8 ha Weinanbaufläche für Burgunder sowie Muskateller und Müller-Thurgau, immerhin 2 ha für die Rosen sowie 5 ha Streuobstwiesen. Das alles und noch viel mehr wird uns in gemütlichem Ambiente auf einer Galerie im ehemaligen Schuppen erzählt - mit bequemen Sofas vor prasselndem Kaminfeuer und einer Flasche vom:

Weißburgunder Brut (2019er L-Nr) - im Duft grüner Apfel, Mostbirne, kaum Hefe; im Mund frisch, fruchtig, kräftig, weniger cremig als vielmehr straight. Die feine Perlage gut eingebunden. Angenehm leichte Süße, nicht zuviel dosage, weißer Pfirsich, saftiger Apfel, süße Birne; gute Länge, warmer fruchtiger Abgang. Leicht, aber mit Körper und Biß - idealer Aperitif.

Nun übernimmt Sohn Nr. 2 unsere Betreuung, nachdem der Vater längst hätte andere Termine wahrnehmen müssen und immer dringender nach „Simon!?“ rief: Sohn Nr. 2 also Simon Weiß, mit dem wir den Besuch ursprünglich vereinbart hatten. Simon beginnt endlich, die Weine zu präsentieren, gekonnt, kenntnisreich, großzügig, erzählt über seine Philosophie des Weinmachens, seinen persönlichen Bezug zum Thema und die besondere Stilistik der „Weiß“-Weine. Zum Beispiel diesen:

2018 Rivaner trocken - der Klassiker des Hauses Weiss. Apfelduftig, kalkig, frisch, animierend. Dicht verwobene Aromatik von Kernobst, Rosinen, Muskat, weißem Pfeffer; ein kräftiger Schuß Grauburgunder mit seiner Würze und dem Salz wird dabei sein. Satter, ewig haftender Nachhall. Ziemlich glänzendes Beispiel eines modernen Müller-Thurgau.

Währenddessen herrscht im eigentlichen Probierraum unterhalb unserer Galerie reges Treiben, denn ein Familienfest ist vorzubereiten, indes: Simon ist die Ruhe selbst, lehnt unser Angebot, uns zu verabschieden, mehrmals ab, muß natürlich irgendwann trotzdem weg, und wir werden weitergereicht an Sohn Nr. 1, dessen Namen Marcel wir Erzählungen des Vaters entnehmen. Marcel Weiß erzählt bei einem Glas Spätburgunder und zwar dem...

...2016 Spätburgunder trocken, einem Vertreter der strengen, herben Art. Im Duft rote Beete, Rindfleisch, Granatapfel, ein Hauch Orangenzeste. Im Mund Sauerkirsche, rote Johannisbeere, Schwarztee, bitteres Zedernholz, etwas Leder. Im Spätherbst 2020 haben sich die Tannine noch nicht abgeschliffen und verstärken den Eindruck eines kräftigen, aber anstrengenden Weines, der mindestens ein würziges Gulasch als Counterpart braucht...

...Zeitsprung in den Januar 2022: saftig, stark, etwas weicher, ohne wirklich zahm zu sein. Tabak, Zeder, Cranberry, Erdbeere, Süßkirsche, auch Vanille und dann wird's noch bunter mit Sellerie oder gleich einem ganzen Bund Suppengemüse. Staubtrockener Nachgang. Passender Begleiter in diesem widerlich nasskalten Monat. Und wieder zwei Jahre zurück, an den Kamin...

...Marcel Weiß also erzählt von seinem Steckenpferd, dem Sortiment an Spirituosen mit so Köstlichem wie Mirabellenwasser, Anisgeist oder eigenem Gin. Er beendet seinen Auftritt mit einem Ausflug in den Faßkeller samt Probe eines vielversprechenden Chardonnay vom 19er Jahrgang; hier übernimmt Simon wiederum kurz, bevor es zurückgeht und wir den Nachmittag mit Hanspeter und weiteren amüsanten Geschichten fortsetzen. Und während sich der Hof mit den Gästen der Familienfeier mehr und mehr füllt, erfreuen wir uns vor dem Kamin an weiteren hervorragenden Weinen. Den "vielversprechenden" Chardonnay übrigens hatten wir gleich subskribiert und werden ihn natürlich nie bekommen. Dann behelfen wir uns eben mit dem...

2017 Chardonnay trocken Reserve - williamsbirnenduftig, Orange, Banane, Vanille, man erwartet die übliche amerikanische Bombe, jedoch: Nadeln von Rosmarin und Noten bittersüßer Kräuter, Salz sorgt für Spannung, herber Boskop, würzig, klar und gerade noch leicht, bestimmt von saftiger, gut eingebundener und zitrusschwangerer Säure.

Noch eine weisse Spitze von Weiss gefällig?

2015 Muskateller Reserve „MG“ trocken von über 40 Jahre alten Reben auf der „Bahlinger Burghalde“, spontan und auf der Maische vergoren, hin und wieder aufgerührt, nicht filtriert, schmeichelnd süßer Muskat, ein Reigen phenolischer Noten, Rosmarin, Tannenduft, Weihrauch, süße Mandeln im Nachhall, weich und saftig - einer der komplexesten Muskateller, die wir je tranken.

Nachtrag: den bestellten wir dann auch. Geliefert wurde überraschenderweise der 2017er Jahrgang. Nun, das ist uns bei einigen miesen Gastronomen auch schon passiert. Frische Muskatnote, Waldhonig, der immer auch einen bitteren Akzent hat, cremig auf der Zunge, bescheiden mit dem Restzucker, auch sehr gut.

Energisch lösen wir nach fünf Stunden die Runde auf und schließen mit einer umfassenden Bestellung ab, denn eines steht fest: die Weine sind alles andere als „unorganisiert“. Wir verabschieden uns mit einem ernstgemeinten „Auf Wiedersehen“, bekommen noch eine Flasche Spätburgunder geschenkt und lassen fünf Rosen für die A-Note (Weine) und drei für die B-Note (Organisation) dort. „Auf Wiederhören“ wäre auch nett gewesen.

Denn eine Woche danach: kein Wein. Auch kein Lebenszeichen, nichts. Zwei Wochen danach: kein Wein, keine Reaktion auf unsere schriftliche Nachfrage (zum Vergleich: ein großes Eichstettener Weingut, bei dem wir am selben Vormittag bestellt hatten, lieferte drei Tage später, Horst Konstanzer als kleines Privatweingut brauchte vier Tage - chapeau), und wir fragen uns, was wohl schiefgelaufen sein mag. Am Ende der dritten Woche danach: Wein schließlich da, ohne weiteren Kommentar. Auf der Rechnung statt Skonto oder Zahlungsziel der Hinweis auf die oben erwähnte Flasche Spätburgunder. Fehlt eigentlich nur der „Zwinker“-smiley. Endwertung: eine Rose. Wenn überhaupt.