I drink so I, can talk to assholes., That includes me.

Jim Morrison

Das LW-feature: The rise and decline of rock wines

Der Trend beginnt um das Jahr 2000. Das neue Jahrtausend überrollt die Musikbranche mit Digitalisierung und Internet. Der Umbruch zum digitalen Tonträger und der Möglichkeit, Musikdateien ohne wesentlichen Qualitätsverlust zu vervielfäligen und anonym zu tauschen, ist für den Konsumenten ein Traum, für die Industrie der Abgrund, und er zwingt Musiker und deren Manager dazu, neue Geldquellen zu erschließen. Warum nicht Alkoholika, nicht zuletzt hochpreisigen Wein, ins Merchandise holen? Kaum überraschend, daß die ergrauten Superstars der Sechziger und Siebziger zuerst erkannten, daß ihr Publikum sozusagen wie guter Wein gereift war und nicht mehr unbedingt auf Bier im Plastikbecher stand.

Man mußte einfach nur eine Liebesbeziehung vermarkten, die schon immer bestanden hatte. Die Geschichten dazu ließen sich leicht finden oder konstruieren. Künstler jedweder Profession schätzten seit jeher Wein als upper, downer, als Quelle der Inspiration, fluchten, sangen, schrieben, und nicht erst, seit Baudelaire den "Wein des Einsamen" beklagte. 1947 kam der heute vergessene "Stick McGee and his buddy" unverblümter auf den Punkt: "drinkin´ wine, motherfucker, drinkin` wine, goddam - pass the bottle, gimme summa that slog", einer der ersten Rocksongs überhaupt, später familientauglich weichgespült und zahlreich gecovert. Dean Martin streifte den Wein zwar nur kurz und betrank sich auf den Bühnen von Las Vegas lieber mit Bourbon (bei dem es sich in Wahrheit um Apfelsaft handelte), aber selbst in den acidtrunkenen Sixties war Wein durchaus ein Thema, authentisch und depressiv unter anderem von den Eagles oder den Rolling Stones verarbeitet. Depressiv? Man höre nur, wie Mick Jagger "Blood Red Wine" interpretiert oder "The Grateful Dead" die "Wharf Rat" - die LSD-Cocaine-Szene bejammert den Alkoholismus -, und man muß nicht eintausend Seiten Bukowski hindurchlesen, um des Trinkers Einsamkeit zu erfahren, es genügt, etwa Jim Morrison auf seinem Abstieg ins Nirgendwo zu begleiten, ausgerechnet ihn, der den Wein erst in den stillen Tagen von Paris entdeckte, um seiner Dämonen Herr zu werden. Wäre Morrison doch nur früher umgestiegen. Wie Lemmy Kilmister zum Beispiel. Dem empfahl man aus gesundheitlichen Gründen, die Finger von Jack Daniels zu lassen, gestand ihm immerhin aber starken Rotwein zu. Jedenfalls soll so der Motörhead Shiraz auf die Welt gekommen sein.

Genug der Geschichten und Schicksale, denn es geht ums Geld. Aus wirtschaftlicher Sicht bringen das Abfüllen von Merchandise- oder eben Rock-Weinen und das Drucken von Bandlogos auf Textilien aus Bangladesh eine vergleichbar astronomische Gewinnmarge. Teure Authentizität ist das Letzte, was der Konsument oder eben Fan von einem Rock-Wein erwarten darf und wird. Wem Lemmy, Angus Young oder die Jungs von Sepultura finster entgegenblicken, ihre Weine bewerbend, dem wird klar sein, daß diese Musiker kaum plötzlich zu braven Weinbauern wurden. Ähnlich wie Baumwolle und Fleisch kann Wein Luxusprodukt sein, oder auch hochsubventionierte Massenware, jederzeit und in jeder Quantität verfügbar, qualitativ ohne festen Grund; Politiker nennen das Demokratisierung. Der klassische Rock-Wein besteht in aller Regel aus australischer, kalifornischer oder südeuropäischer Massenware, die von Abfüllern mit den jeweiligen Band-Logos versehen wird - dazu später mehr - und fertig ist der Fan-Artikel. Dabei muß "Massenware" hier keineswegs drittverwerteten, kaum genießbaren, womöglich gesundheitsschädlichen Stoff bedeuten, Analogkäse sozusagen, denn auf der Flasche des Rock-Weines prangt eine oft weltbekannte Marke - die des Künstlers, der sie hüten muß wie seinen Augapfel.

Wir öffneten seinerzeit eine Reihe solcher Weine, angefangen von starkem "Hells Bells"-Chardonnay, hitzigem Motörhead-Shiraz und -Rosé mehrerer Jahrgänge, Slayers ikonischem "Reign in Blood"-... ja, was war das, egal, bis hin zu jenen EU-Subventionsfiaskos, die zum Beispiel Imaginaerum aus Finnland abfüllen ließen (wir empfahlen ihnen damals, doch wenigstens finnischen Wodka zu nehmen, erhielten aber nie eine Antwort). Mit der Ausnahme des Imaginaerum-Weins waren sie alle trinkbar: alkoholschwangere, zuckersatte, marmeladige Weine, Grillgut- und Chipsbegleiter, schnell träge und glücklich machend, Untermalung für die lärmende Gesellschaft und nie etwas, in das man näher hineinhorchen wollte. Dafür ist ja die Musik da. Kurzum: übliche Supermarktqualität, nur um Längen besser aussehend und natürlich das Gefühl schenkend, seinen Idolen irgendwie nahe zu sein. So haben diese Weine überhaupt nichts mit den Bands zu tun, mit deren Logos sie geschmückt sind, sondern mit einer Szene, die dem genre anhängt. Leute, die mal kein Bier trinken wollen, für die es auch ein paar Volumenprozent mehr sein dürfen, die sich solchen Wein ohnehin leisten können - da sollte man sich nicht täuschen, aber gerne auf das "Gewese um den Alkohol" (D. Wischmeyer) verzichten. Und so mögen die Weine an sich nicht authentisch sein, aber sie fügen sich nahtlos in eine authentische Subkultur ein. Das nebenbei ist der Grund, weswegen es keinen, sagen wir, "Oasis"-Wein geben kann.

Sollte man aber tatsächlich einmal einen Rock-Wein im Glas haben, der die Bezeichnung "Wein" verdient, dann weil er von echten Winzern wie Felix Adelmann oder Florian Robert stammt, die echten Wein machen und nebenher dem Rock und Metal zugetan sind. Nicht umgekehrt.

Nur kurz zu "Hobby-Weinen". Gerard Depardieu war nicht der erste Künstler, der sich ein Weingut zugelegt hatte - Geschichte eines Scheiterns, auch Maler, Musiker, andere Schauspieler erwarben kurzerhand Weingüter (wir wissen allerdings von niemandem, der eines gegründet hätte), und einige davon legten ihre Projekte durchaus breit an, mit ökologisch produziertem Olivenöl samt Pesto und Pralinen zum "eigenen" Wein. Leider konnte keiner dieser entrepreneurs das unappetitliche Kokettieren des Superstars mit dem frugalen Landleben so ganz ablegen. Man mag das übersehen, nur warten wir immer noch auf Weine, die die ihren erheblichen Preis auch nur ansatzweise rechtfertigen: Promibonus ersetzt nicht Klasse, da helfen auch die Pralinen nicht. Der letzte größere coup fand 2008 statt, als "Brangelina" ein Weingut in der Provence kauften, sich einige Monate als viticulteurs gerierten, dann kamen schlechte Filmprojekte, Unverstand, Langeweile, schließlich die Scheidung dazwischen, und eine Zeitlang gaben sie nur noch ihre Namen für federleichten Rosé her - Blaupause des Schicksals vieler dieser Weine. Inzwischen können sie sich nicht mal darüber einigen, das Weingut abzustoßen. Francis Ford Coppolas Versuch, fünftklassigen Weißwein in Dosen zu vermarkten, lassen wir unkommentiert.

Je nachdem Höhe- oder Tiefpunkt der Rock-Wein-Ära waren die Erzeugnisse kalifornischer Massenabfüller, welche sich nicht einmal die Mühe machten, mit unterschiedlichen Flaschenformen den Schein zu wahren, sondern einfach demselben Stoff ein anderes Outfit verpassten (wir erinnern uns an identische Merlot-Marmeladen anonymer Herkunft mit unterschiedlichen Etiketten). Dann war das Ganze nur noch eine monetär zu lösende Frage des Copyrights. Immerhin konnte man sich dann für teures Geld eine zwar geschmacklich uniforme, jedoch ästhetisch äußerst gelungene Kollektion von "Rock"-Weinen anschaffen. Denn eine Zierde des Weinregals oder überhaupt irgendeines Regals waren Rock-Weine dank ihrer ikonischen Etiketten immer - wer wollte sie allen Ernstes jemals trinken.

Das zweite Jahrzehnt des neuen Jahrtausends ist längst zu Ende, und auch das Zeitalter der Rock-Weine ist passé. Natürlich bekommt man einige dieser Weine heute immer noch. Es handelt sich um Restbestände von Zwischenhändlern, selten sitzen die Abfüller selbst noch auf einigen Flaschen, die als "limited editions" abgeschlagen werden, ansonsten können glückliche Fans in teils unverdächtigen, teils obskuren Internetquellen noch alten Stoff ausgraben - manchmal mit dem verschämten Hinweis, der die Geschichte der Rock-Weine in einem Satz umschreibt:

"the wine has long since deceased"